Auf des Peleus Rat schifften die Helden aus der Mündung hervor und schleunig davon, ehe die zurückgelassenen Kolcher
zur Besinnung kommen konnten. Diese, als sie innewurden, was geschehen war, gedachten anfangs die Feinde zu
verfolgen, aber Hera schreckte sie mit warnenden Blitzen vom Himmel; und da sie zu Hause den Zorn des Königes
fürchteten, wenn sie ihm Sohn und Tochter nicht zurückbrächten, so blieben sie auf den Artemisinseln in der Mündung des
Ister zurück und siedelten sich hier an.
Die Argonauten aber schifften an mancherlei Gestaden und Inseln vorüber, auch an dem Eilande, wo die Königin Kalypso,
die Tochter des Atlas, wohnte. Schon glaubten sie in der Ferne die höchsten Bergspitzen des heimischen Festlandes
aufsteigen zu sehen, als Hera, welche die Pläne des erzürnten Zeus fürchtete, einen Sturm gegen sie erhob, der ihr Schiff mit
Ungestüm an die unwirtliche Insel Elektris trieb. Jetzt begann auch das weissagende Holz, das Athene mitten in den Kiel
eingefügt hatte, zu sprechen, und entsetzliche Furcht ergriff die Horchenden. »Ihr werdet dem Zorn des Zeus und den
Irrfahrten des Meeres nicht entgehen«, tönte das hohle Brett, »bevor nicht die Zaubergöttin Kirke euch den grausamen
Mord des Absyrtos abgewaschen hat. Kastor und Pollux sollen zu den Göttern beten, daß sie euch die Pfade des Meeres
öffnen und ihr Kirke finden könnet, die Tochter des Sonnengottes und der Perse.« So sprach der hölzerne Mund des
Schiffes Argo um die Abenddämmerung. Schauder und Furcht ergriff die Helden, als sie den seltsamen Propheten so
Schreckliches verkünden hörten. Die Zwillinge Kastor und Pollux allein sprangen auf und hatten den Mut, zu den
unsterblichen Göttern um Schutz zu beten; das Schiff aber schoß weiter bis in die innerste Bucht des Eridanos, da wo einst
Phaëthon verbrannt vom Sonnenwagen in die Flut gefallen war. Noch jetzt schickt er aus der Tiefe Rauch und Glut aus
seiner brennenden Wunde hervor. Kein Schiff kann mit leichten Segeln über dieses Gewässer hinfliegen, sondern es springt
mitten in die Flamme hinein. Ringsumher am Ufer seufzen, in Pappeln verwandelt, Phaëthons Schwestern, die Heliaden, im
Winde und träufeln lichte Tränen aus Bernstein auf den Boden, welche die Sonne trocknet und die Flut in den Eridanos
hineinzieht. Den Argonauten half zwar ihr starkes Schiff aus dieser Gefahr, aber alle Lust nach Speise und Trank verging
ihnen; denn bei Tage peinigte sie der unerträgliche Geruch, der aus den Fluten des Eridanos vom dampfenden Phaëthon
aufstieg, und bei Nacht hörten sie ganz deutlich das Wehklagen der Heliaden und wie die Bernsteintränen gleich Öltropfen
ins Meer rollten. An den Ufern des Eridanos hin kamen sie zu der Mündung des Rhodanos und wären hineingeschifft, von
wannen sie nicht lebendig herauskommen sollten, wenn nicht Hera plötzlich auf einer Klippe erschienen wäre und mit
furchtbarer Götterstimme sie abgemahnt hätte. Diese hüllte das Schiff schirmend in schwarze Nebel, und so fuhren sie an
unzähligen Keltenvölkern viele Tage und Nächte vorbei, bis sie endlich das tyrrhenische Ufer erblickten und bald darauf
glücklich in den Hafen der Insel Kirkes einliefen.
Hier fanden sie die Zaubergöttin, wie sie, am Meergestade stehend, ihr Haupt in den Wellen badete. Ihr hatte geträumt, das
Gemach und das ganze Haus ströme über von Blut, und die Flamme fresse alle Zaubermittel, mit welchen sie sonst die
Fremdlinge behext hatte; sie aber schöpfe mit hohler Hand das Blut und lösche das Feuer damit. Dieser entsetzliche Traum
hatte sie mit der Morgenröte vom Lager aufgeschreckt und ans Meeresufer getrieben; hier wusch sie Kleidung und Haare,
als ob sie blutbefleckt wären. Ungeheure Bestien, nicht andern Tieren ähnlich, sondern aus den verschiedensten Gliedern
zusammengesetzt, folgten herdenweise, wie das Vieh dem Hirten aus dem Stalle. Die Helden ergriff entsetzliches Grausen,
zumal da sie der Kirke nur ins Angesicht zu sehen brauchten, um sich zu überzeugen, daß sie die Schwester des grausamen
Aietes sei. Die Göttin, als sie die nächtlichen Schrecken von sich entfernt hatte, kehrte schnell wieder um, lockte den Tieren
und streichelte sie, wie man Hunde streichelt.
Iason hieß die ganze Mannschaft im Schiffe bleiben, er selbst sprang mit Medea ans Land und zog das widerstrebende
Mädchen mit sich fort, Kirkes Palaste zu. Kirke wußte nicht, was die Fremden bei ihr suchten. Sie hieß sie auf schönen
Sesseln Platz nehmen. Jene aber flüchteten still und traurig an den Herd und ließen sich dort nieder. Medea legte ihr Haupt
in beide Hände, und Iason stieß das Schwert, mit welchem er den Absyrtos umgebracht hatte, in den Boden, legte die
Hand auf dasselbe und stützte sein Kinn darauf, ohne die Augen aufzuschlagen. Da merkte Kirke, daß es Schutzflehende
seien, und verstand sogleich, daß es sich um den Jammer der Verbannung und die Sühnung eines Mordes handle. Sie trug
Scheu vor Zeus, dem Beschirmer der Flehenden, und brachte das verlangte Opfer dar, indem sie ein Ferkel einer noch
lebenden Muttersau schlachtete und den reinigenden Zeus dazu anrief. Ihre Dienerinnen, die Najaden, mußten all die
Sühnungsmittel aus dem Hause zusammentragen; sie selbst stellte sich an den Herd und verbrannte heilige Opferkuchen
unter feierlichen Gebeten, um den Zorn der Erinnyen zu besänftigen und die Verzeihung des Göttervaters für die
Mordbefleckten anzurufen. Als alles vorüber war, ließ sie die Fremden erst auf die glänzenden Stühle setzen und setzte sich
ihnen gegenüber. Dann fragte sie dieselben über ihr Geschäft und ihre Schiffahrt, woher sie kämen, warum sie hier gelandet
und wofür sie ihren Schutz begehrt hätten; denn ihr blutiger Traum war ihr wieder in den Sinn gekommen. Als die Jungfrau
nun ihr Haupt aufrichtete und ihr ins Angesicht sah, fielen ihr die Augen des Mädchens auf; denn Medea stammte ja wie
Kirke selbst vom Sonnengotte; und alle Abkömmlinge dieses Gottes haben strahlende Augen voll Goldglanz. Nun verlangte
sie die Muttersprache der Landesflüchtigen zu hören, und die Jungfrau fing an, in kolchischer Mundart, alles, was mit
Aietes, den Helden und ihr geschehen war, der Wahrheit nach zu erzählen; nur die Ermordung ihres Bruders Absyrtos
wollte sie nicht gestehen. Aber der Zaubergöttin Kirke blieb nichts verborgen; doch jammerte sie ihrer Nichte und sie
sprach: »Arme, du bist unehrlich geflohen und hast einen großen Frevel begangen. Gewiß wird dein Vater nach
Griechenland kommen, den Mord seines Sohnes an dir zu rächen. Von mir jedoch sollst du kein weiteres Übel leiden, weil
du eine Schutzflehende und dazu meine Verwandte bist. Nur verlang auch keine Hilfe von mir. Entferne dich mit dem
fremden Manne, wer es auch sein mag. Ich kann weder deine Pläne noch deine schimpfliche Flucht billigen!« Ein
unendlicher Schmerz ergriff die Jungfrau bei diesen Worten. Sie warf den Schleier über ihr Haupt und weinte bitterlich, bis
der Held sie an der Hand ergriff und die Wankende mit sich aus Kirkes Palast hinausführte.
Doch Hera erbarmte sich ihrer Schützlinge. Sie sandte ihre Botin Iris auf dem bunten Regenbogenpfade zur Meeresgöttin
Thetis hinab, ließ diese zu sich rufen und empfahl das Heldenschiff ihrem Schirm. Sogleich mit Iasons und Medeas Ankunft
an Bord fingen nun sanfte Zephire zu wehen an; froheren Mutes lichteten die Helden die Anker und spannten die hohlen
Segel aus. Mit leichtem Winde wogte das Schiff weiter, und bald stellte sich ihnen eine schöne blühende Insel dar, die der
Sitz der trügerischen Sirenen war, welche die Vorüberschiffenden durch ihre Gesänge anzulocken und zu verderben
pflegten. Halb Vögel, halb Jungfrauen, saßen sie immer auf ihrer Warte, und kein Fremder, der vorüberfuhr, entging ihnen.
Auch jetzt sangen sie den Argonauten die schönsten Lieder zu, und schon waren diese im Begriffe, die Taue nach dem Ufer
zu werfen und anzulegen, als der thrakische Sänger Orpheus sich von seinem Sitze erhob und seine göttliche Leier so
mächtig zu schlagen begann, daß sie die Stimmen der Jungfrauen übertönte; zugleich blies ein tönender gottgesandter
Zephir in den Rücken des Schiffes, so daß der Sirenengesang ganz in den Lüften verhallte. Nur einer der Genossen, Butes,
der Sohn des Teleon, hatte der hellen Stimme der Sirenen nicht zu widerstehen vermocht, sprang von der Ruderbank ins
Meer und schwamm dem verführerischen Hall entgegen. Er wäre verloren gewesen, wenn ihn nicht die Beherrscherin des
Berges Eryx in Sizilien, Aphrodite, erblickt hätte. Sie riß ihn mitten aus den Wirbeln heraus und warf ihn auf ein Vorgebirge
dieser Insel, wo er hinfort wohnen blieb. Die Argonauten betrauerten ihn für tot und schifften neuen Gefahren entgegen;
denn sie kamen in eine Meerenge, wo auf der einen Seite der steile Fels der Skylla in die Fluten hinausragte und das Schiff
zu zerbrechen, auf der andern Seite der Strudel der Charybdis die Wasser in die Tiefe riß und das Schiff zu verschlingen
drohte. Dazwischen irrten unter der Flut vom Grunde losgerissene Felsen, wo sonst die glühende Werkstätte des
Hephaistos ist; jetzt aber rauchte sie nur und erfüllte den Äther mit Finsternis. Hier begegneten ihnen von allen Seiten die
Meernymphen, des Nereus Töchter; im Rücken des Schiffes faßte die Fürstin derselben, Thetis selbst, das Steuerruder.
Alle miteinander umgaukelten das Schiff, und wenn es sich den schwimmenden Felsen nähern wollte, so stieß es eine
Nymphe der andern zu, wie Jungfrauen, die Ball spielen. Bald stieg es mit den Wellen hoch empor zu den Wolken, bald
flog es wieder in den Abgrund hinab. Auf dem Gipfel einer Klippe sah, den Hammer auf die Schulter gelehnt, Hephaistos
dem Schauspiele zu und vom gestirnten Himmel herab des Zeus Gemahlin, Hera; diese aber ergriff Athenes Hand; denn sie
konnte es ohne Schwindel nicht mit ansehen. Endlich waren sie den Gefahren glücklich entgangen und fuhren weiter auf der
offenen See, bis sie zu einer Insel kamen, wo die guten Phäaken und ihr frommer König Alkinoos wohnten.